Dr. Ulrike Lorenz
„Ohne Fleiß kein Preis“, 
meine Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, hoch verehrte Preisträger,
ohne Fleiß kein Preis – buchstabiere ich, den Kopf im Nacken, seit Mittwochnachmittag im Zentrum dieses speziellen Kunstmuseums: „ohne Fleiß kein“ – das krümmt sich scherenschnittfiligran verschämt in den Raum, PREIS dann endlich aufatmend – perfide hingebogen aus immergrünem Dekoimitat. Wort für Wort angelt hier ein Laureat nach unserem genickstarren Bewusstsein: Stefan Göler. 

Die Spur führt ins Leere, dorthin, wo es keine Indizien gibt. Aber zuviel Sichtbar-Gemachtes, zuviel Konstruiertes. Jedenfalls zuwenig Aufmerksamkeit für Leerstellen. Lücken, in denen das Kunstwerk entsteht – und seine Wahrnehmung sich entfaltet.

(...)
„Und plötzlich in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig unbegreiflich verwandelt –, umspringt in jenes leere Zuviel. Wo die vielstellige Rechnung zahlenlos aufgeht.“ (Rainer Maria Rilke)

Leerstellen übersehen heißt, den Prozess des Kunstwerks übersehen – heißt: blind sein. Blind sein bei der Ankunft im Bild. Genau hier aber – im Akt der Anschauung, im Augenblick zwischen Vergangenheit und Zukunft, kommt die Gegenwart zur Explosion – oder zum Stillstand. Im intimen Akt der Anschauung enthüllt sich uns das Geheimnis der Zeit. Zeit als biomorphe Größe, persönliche Qualität desjenigen, der schaut. – Ankunft im Bild, das heißt: immer im Augenblick der Landung, nie ganz geglückt, nie endgültig verstoßen. Annäherung, Verharren, Schwingen im Unvereinbaren, Scheitern – und neuer Versuch. Wie die Formbildung gehört auch Wahrnehmung zum Status der reinen Existenz. Wahrnehmung stellt Fragen, für die sie Antworten im Kunstwerk sucht und ist ihrerseits Antwort auf die Frage, die das Kunstwerk stellt. 

„In der Kunst zum Beispiel, muss man immer da sein, sofort, ohne Einleitung, ohne Erklärungen, ohne Vorworte: ansetzen und da sein – reine Existenz.“ (Gottfried Benn) 

Wie aber Leere lesen? Strich legt sich über Strich, Farbspur über Farbspur, Papier über Papier in den psychedelisch leichten Zeichnungen und Collagen Stefan Gölers. Hier und heute hat er sie konsequent in den leeren Raum des Oktogons geblasen. Da schaukeln sie jetzt wie Luftschiffe frei durch unsere Phantasie und beflügeln – vielleicht – unsere Sehnsucht: beladen – nicht beschwert – mit allem, was wir uns denken wollen zum Leben: Netz und Leiter, Sonnenschirm und Windrad, Haus und Schwamm, Landkarte und Steuerruder. Flüchtige Zeichen im Raum, eine ephemere Verdichtung – einer Gedankenwolke gleich – über unseren Köpfen als quasi naturgemäße Erweiterung des leichtfüßigen und geistreichen Mediums Zeichnung, so wie es der Musiker-Künstler Göler seit Jahren versteht und praktiziert: beiläufig, aber notwendig, immer legitim. 

(...)

Sie erinnern sich noch? Ohne Fleiß kein Preis. Es geht bei diesem neuen Kunstpreis der Regensburger Kulturstiftung der REWAG prinzipiell darum, alte Gewissheiten über Bord zu werfen, um Raum für andere Perspektiven zu gewinnen.

Diese Spur muss immer wieder ins Leere führen. Nur dort ereignet sich das Kunstwerk als Prozess. Ein Prozess, in dem es Indizien, aber keine Urteile gibt. 

Und gelegentlich einen Preis. 
                                                                                             

© 2008 Ulrike Lorenz
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